Das Plakat zu „Horsemen“
Was wir sehen: Den Kopf eines Mannes. Seine Augen sind zum einen vom Schriftzug des Filmtitels „Horsemen“ verdeckt, zum anderen befinden sie sich hinter einer seltsamen Konstruktion, die (hoffentlich!) aus Stoff und Metallhaken zu bestehen scheint und dem Mann die Sicht nimmt. Der Hintergrund ist schwarz und nur das Gesicht des Mannes wird von einer Lichtquelle beleuchtet, die von vorn kommt.
Worum es augenscheinlich geht: Die ersten Assoziationen, die ich persönlich hatte, waren eher unangenehm. Zum einen musste ich beim Lesen des Filmtitels an einen Film namens „Zoo“ denken, in welchem es um Zoophilie mit Pferden geht. Diesen Film, der als (Halb-)dokumentation getarnt war, habe ich leider vor einiger Zeit gesehen und fand ihn auf Grund der Tatsache, dass er wenig objektiv war, sehr verstörend. Die zweite Assoziation, die ich hatte, war eine Praktik, die beispielsweise in Indien früher üblich war: junge Männer ließen sich dort anlässlich eines Bußfestes Metallhaken in die Haut stecken und wurden, daran aufgehängt, per Prozession durch die Straßen getragen. Ihnen dabei ein junges Baby in die Arme zu legen, sollte dem Kind Glück bringen. Meines Erachtens wurde diese Praktik vor einigen Jahren zwar verboten, ich kann mir jedoch vorstellen, dass sie immer noch durchgeführt wird. Der Schmerz wird dabei durch pure Willenskraft besiegt und ist ein Zeichen der Buße.
Beide Assoziationen zusammen genommen ergeben für mich ein Bild eines Filmes, den ich a) weder Dennis Quaid zugetraut hätte noch b) sehen will.
Worum es tatsächlich geht: Detective Breslin (Dennis Quaid) will nach dem Tod seiner Frau noch einen letzten Mordfall bearbeiten. Dieser entwickelt sich jedoch zu einem der grausamsten Fälle, die Breslin je bearbeitet hat. Die Opfer sind offensichtlich lange gequält und verstümmelt worden. Der Mörder hinterlässt Hinweise für Breslin, die darauf hindeuten, dass es sich hier nicht um einen menschlichen Killer handelt. Vielmehr gelangt Breslin zu der Annahme, es mit den vier Reitern der Apokalypse aus der Bibel zu tun haben.
Zum Plakat: Dass der Film einen biblischen Bezug haben könnte, darauf wäre ich beim Ansehen des Plakates niemals gekommen. Mir erscheint es auch nach dem Ansehen des Trailers so, als wäre der Bibelbezug eher ein Vehikel, um grausame Mordtechniken zu zeigen. Weder Trailer noch Plakat sind dabei sonderlich subtil. Hier wird eindeutig auf den Schockeffekt gesetzt und mir behagt es ehrlich gesagt überhaupt nicht, dass dem Ganzen eine symbolische Bedeutung zugesprochen wird. Wenn Filmreihen wie „Saw“ oder „Hostel“ mit Schockpostern werben, so finde ich das ästhetisch ebenso wenig gut, aber wenigstens versuchen diese Reihen nicht, die gezeigte Gewalt mit dem Deckmantel einer biblischen Symbolik zuzudecken.
Ein Film, der mir im Zusammenhang mit der Bibel und einer Mordserie einfällt, ist natürlich der grandiose „Sieben“ von David Fincher. Dessen Plakat war wenig effektheischend oder abstoßend.
Obwohl sich auch „Sieben“ mit extrem grausamen Morden auseinander setzt und für mich bis heute Maßstäbe im „Serienmördergenre“ setzt, kam der Film (fast) ohne grausame Bilder aus. Vieles von dem, was man zu sehen glaubte, fand eigentlich nur in der Vorstellung statt. Die Einstellungen, die tatsächlich etwas drastisches zeigten, waren kurz und sehr dosiert eingesetzt.
Bei „Horsemen“ musste ich schon im Trailer mehr explizite Gewalt sehen, als ich angemessen finde. Ja, das ist ein sehr subjektives Kriterium. Aber mir fällt der Unterschied angesichts des ähnlich gelagerten Themas sehr auf.
„Sieben“ wurde 1995 gedreht – das ist in diesem Jahr nun schon stolze 14 Jahre her – und noch immer ist das für mich ein Film, der mir ob seiner Grausamkeit durchaus Magenschmerzen verursacht. Wenn ich mir die Entwicklung von Gewalt im Film in den letzten Jahren betrachte, wurden schon mehr als einmal meine Grenzen deutlich überschritten. Wo früher nur angedeutet wurde, wird heute gezeigt. In Großaufnahme. In Zeitlupe. Mit allen Details. Ich begrüße diese Entwicklung nicht. Ich glaube zwar nicht, dass solche Filme zu Bluttaten inspirieren (diese Diskussion fand ich auch bei „Natural Born Killers“ 1994 schon völlig überzogen), aber dass Hemm- und Toleranzschwellen sinken, wenn drastische Gewalt Teil der Alltagskultur ist, kann m.E. nicht bestritten werden. Man gewöhnt sich an das, was man täglich sieht und hält es irgendwann auch für normal.
Große Filmemacher wussten schon immer, dass wahre Kunst in der Andeutung besteht. Früher dachte ich immer, dass nichts so grausam sein kann, wie meine eigene Vorstellung – aber ganz ehrlich: so pervers, wie es heute in Filmen üblich ist, ist meine Phantasie nicht.
Ich würde mir wünschen, dass dieser Trend auch irgendwann wieder abebbt und weniger Wert auf optische Schockeffekte und mehr Wert auf die Geschichte gelegt wird.
„Horsemen“ ist nur ein Beispiel für die Art Filme, von der es für mich derzeit eindeutig zu viele gibt.
Dein Bekenntnis zum zarten – eigentlich braucht’s eine andere Kategorie wie etwa: zum guten – Gemüt finde ich großartig. Leider werden Warnungen vor einer gefährlichen Absenkung von Hemmschwellen gern als realitätsferne Panikmache berufsmäßiger Spaßverderber verstanden; als wäre sie den Pädagogen, Sozialarbeitern, Jugendpsychologen und Kirchenmenschen vorbehalten. Bullshit.
Dieser Film will paradoxerweise durch seine verstörenden, abstoßenden Bilder anziehen. Die Wahrheit ist jedoch: Sympathische Menschen schauen wahrscheinlich eher sympathische Filme.
Und jawohl, lediglich der Titel „Horsemen“ lässt auf dem Plakat den Bibelbezug vermuten – aber bedenke, dass christliche Symbolik und insbesondere apokalyptische Referenzen in den USA (für diesen Filmmarkt ist „Horsemen“ nun mal hauptsächlich gemacht) wesentlich präsenter sind als im vergleichsweise säkularisierten Deutschland. Nahezu jeder Amerikaner wird den biblischen Bezug des Titels also auf Anhieb erkennen, dadurch wird vielleicht auch das Plakatmotiv in einen anderen Kontext gesetzt.
Nun bin ich kein Experte in christlicher Eschatologie, aber ich würde gerne, wild spekulierend, eine weitere Interpretation für das Plakat anbieten:
Da gemäß Endzeitgläubigen die Apokalypse zuerst von Propheten wahrgenommen wird und diese Offenbarung (altgr. „apokálypsis“) gemeinhin auch als visuelle Erfahrung verstanden wird (man spricht ja auch von biblischen „Sehern“), könnte dieses Plakat auf die Fähigkeit oder Unfähigkeit des Untergangspropheten (gespielt von Dennis Quaid), die für ihn bestimmte Offenbarung wahrzunehmen, hindeuten. Er ist also entweder blind vor XY, oder er versenkt seinen Blick so sehr in XY, dass er sie endlich sehen kann: Die Ankunft der „Horsemen“.
Was nun XY angeht, so erinnert mich die Apparatur an die Vorrichtungen zur Herstellung von Pergament. Wenn also Dennis Quaid das Pergament „vor Augen gehalten“ wird, dann erscheint Variante 2 plausibler.
Disclaimer: Fundamentalistische Christen, besonders in den USA, und ihre typische Endzeit-Erwartungshaltung machen mir Angst. Daher meine paranoide Interpretation.
Hallo, Mr Smithee – Sie hier auf meinem Blog?! Das ist ja eine unglaubliche Ehre ;-)
Zum ersten Satz bzw. meiner Bekenntnis zum zarten Gemüt – ich bin früher durchaus anders gewesen, eine Zeitlang konnte es mir nicht blutig genug sein! (Achtung, es wird etwas pathethisch!) Eines Tages jedoch saß ich mal wieder vor einem solchen Film (ich glaube, es war „Land of the Dead“ von Romero) und konnte plötzlich nicht mehr hinsehen, wie Gehirne aus Köpfen gerissen und auf Herzen herumgekaut wurde. Der Mann an meiner Seite war jedoch restlos begeistert vom Film. In diesem Augenblick begann ich nachzudenken und mich zu fragen, warum mir so etwas einmal gefallen hat und kam zu der Erkenntnis, dass ich darüber, andere leiden zu sehen, meinen eigenen Schmerz auslebte, dem ich mich im echten Leben nicht stellte. Als wäre ein Schalter in meinem Gehirn umgelegt worden, erkannte ich, dass ich durch meinen Schmerz selbst hindurch muss und seitdem ich das geschafft habe, umgebe ich mich lieber mit positiven Dingen!
Zu der zweiten Deutung des Plakates: sie erscheint mir durchaus plausibel und ich denke, dass ich das Bild aus einer weltlichen Sicht betrachtet habe, hat mich diese Dinge nicht sehen lassen. Danke für diese Ergänzung!
Diese Art der Offenbarung macht ja tatsächlich Hoffnung! Denn bisher dachte ich über den Appeal von drastisch simulierter Grausamkeit auf ganz und gar nicht weltliche Weise – als könnte man seine Unschuld nur verlieren, nicht gewinnen, und müsse sie daher hüten wie den berühmten Augapfel (diese Metapher hat auch nur makabre Konsequenzen, wie?). Und wenn das stimmte, hätte ich meinen Purity-Ring wohl auch schon abgeben müssen. Aber wenn es auch den gegenteiligen Trend zum Abstumpfen, zur grassierenden Indifferenz gegenüber Brutalität in ihren grausamsten Spielarten, gibt, dann wird vielleicht doch alles wieder gut.
Und bei meinem nächsten Besuch dieses Blogs reden wir lieber über andere Themen, ich mag echt nicht gern als Weichei gelten.
Ach, als Weichei habe ich Sie gar nicht empfunden… mir kommt eher das Motto „spread the love“ in den Sinn! So soll es sein :)
Also 1.) bin ich als derjenige, der sich ganz gönnerhaft von Beginn an fürs Duzen entschieden hat, beschämt ob so guter Manieren, daher ist 2.) eine Entschuldigung fällig. Ich bitte Sie also vielmals um Nachsicht! Zudem werde ich mir 3.) das Motto „spread the love“ nicht ganz zu eigen machen, weil es mir persönlich zu stark mit Geschlechtskrankheiten konnotiert ist. Und 4.) habe ich genau Ihnen immerhin gestern noch – gewissermaßen im Sinne von „spread the poster love“ – auf einer anderen Plattform einen Link überlassen, der nun inmitten der Server-Tumulte jener Plattform verloren gegangen scheint (und ich rede mal nicht von Twitter). Also vielleicht hier?
http://assemblyman-eph.blogspot.com/2009/08/film-poster-paintings-from-ghana.html
(Jedenfalls habe ich das neulich gesehen und gleich an Ihr feines Blog gedacht. Bittschön!)
Danke für das erste herzhafte Lachen an diesem Morgen!
Der Link ist tatsächlich wunderbar – eine schier unglaubliche Fülle – nicht nur an filmrelevanten Plakaten – auch dafür danke ich!