Der erste Film, den ich von PTA gesehen habe, ist „Boogie Nights“. Ich war völlig hinweg von der Eröffnungssequenz – eine so lange Steadicam-Aufnahme ohne Schnitt hatte ich noch nie gesehen. Die Kamera fährt von einer Leuchtreklame auf den Dächern eines Hauses über eine Straße, in einen Club hinein und heftet sich dort an die Fersen von Maurice (Luiz Guzman), dem Manager des Clubs. Wir lernen auf seinem Rundgang durch den Club so alle Hauptdarsteller kennen.
Der erste Schnitt erfolgt, wenn die Kamera auf Dirk Diggler (Mark Wahlberg) trifft.
Diese langen Kamerafahrten sind zu einem Markenzeichen von Paul Thomas Anderson geworden und ich finde, ich bin noch nie so direkt in eine Geschichte hineingezogen worden, wie bei ihm.
Neben Tarantino ist Anderson einer der Regisseure, die die Musik im Film nicht nur im Hintergrund als subtilen Klangteppich laufen lassen. Beide lassen die Musik teilweise über lange Zeit noch vor den Originalton treten, oder blenden vom O-Ton in die Musik über. Da sie beide glücklicherweise einen guten Geschmack haben und das Talent, eine Szene durch die Musik komplett umzudrehen, ist das eines der Merkmale, was mir bei ihnen immer gefällt.
Anderson hat Magnolia ja praktisch als Film zur Musik von Aimee Mann angelegt. Grandios!
Andersons Kunst besteht für mich darin, Gefühle zu Bildern zu machen.
Punch Drunk Love ist hier wohl das extremste Beispiel – die eigentliche Geschichte (ein neurotischer Geschäftsmann wird erpresst und findet die Liebe) – tritt hinter den Emotionen zurück. Der Film beschreibt punktgenau fundamentale Gefühle: Unsicherheit, Demütigung, Verwunderung, Freude, Hass, Hilflosigkeit, Liebe, Kontrollverlust, Harmonie.
Dabei bedient sich Anderson nicht der klassischen Filmsprache: bei ihm gibt es Farbexplosionen, Geräusche, die zu Musik werden und umgekehrt und minutenlange dialogfreie Einstellungen, die keiner weiteren Eklärung bedürfen.
Anderson ist ein meisterhafter Beobachter zwischenmenschlicher Beziehungen, er sieht und erzählt mit einfachen Mitteln von hochwichtigen Details, die manchmal alles über uns verraten. Ein fast unmerklicher Seitenblick, eine kleine Geste.
Dabei findet er Bilder, die uns überraschen und die verstandesmäßig nicht zu fassen sind, aber direkt ins Herz treffen.
Manchmal ist das nur ein winziger Blutstropfen auf einem Ärmel (Sidney), manchmal ein erlösender, kathartischer Froschregen (Magnolia).
Da funktioniert ein Musikstück, bei dem die Protagonisten unerwartet mitsingen genauso wie der Kampf eines Ölmagnaten mit einem jungen Prediger, bei dem es sehr persönlich wird (There Will Be Blood).
Meine Top-5-PTA-Momente
Achtung: mögliche *SPOILER*
5. Boogie Nights: die oben erwähnte Eröffnungssequenz
4. There Will Be Blood: die unglaubliche Schlussszene. (no spoilers attached)
3. Sidney: Sidney erläutert dem Ganoven Jimmy, warum er ihn nicht töten sollte.
2. Punch Drunk Love: Nachdem Barry fünf Minuten lang von seinen 7 Schwestern gedemütigt wurde, tritt er die Glastüren der Terrasse ein. Und sucht dann Hilfe bei einem seiner Schwager. Einer der traurigsten Dialoge meiner Filmgeschichte.
1. Magnolia: der erlösende Froschregen. Noch nie war Regen so bedeutsam, verwirrend und trotzdem zutiefst verständlich.